Kolumnen 2005
Glühweinverzauberter Weihnachtswahnsinn

„Jingle Bells" und „Ihr Kinderlein kommet!" schnarrt in einer Endlosschleife aus einer Box auf dem Weihnachtsmarkt am Ku-damm. Eher unfreiwillig ist man hier gelandet, aber um diese Jahreszeit gibt es vor solch weihnachtlichen Institutionen einfach kein Entrinnen. Die Luft duftet nach kandierten Früchten, gebrannten Mandeln, Punsch und Hartz4, und weil man jetzt nun schon mal hier ist, bestellt man sich an einem der Stände ganz zünftig einen Glühwein. Erfreut muss man feststellen, dass sich in den letzten Jahren die Qualität des Schaustellerbudenpersonals offensichtlich sehr verbessert hat: Damals haben einem prinzipiell nur alte zahnlose Männer mit ungewaschenen und wundenübersäten Händen einen vollgehusteten kandierten Apfel gereicht, heute bekommt man ihn von durchaus gepflegten jungen weiblichen Ich-AGs mit Hygienehandschuhen. Und während man darüber nachdenkt, ruft einem ein als Weihnachtsmann verkleideter Philosophiestudent im 20. Semester immerfort ein dreifaches „HohHohHohhh!" ins Ohr. Hoppalla! Nun muss man sich noch einen Glühwein bestellen, denn den ersten hat man sich eben kochend heiß über die weiße Jacke geschüttet, als einen ein Heilsarmeemensch mit Klingelbeutel unsanft angerempelt hat. Mein lieber Scholli, ist das eine Szenerie - und plötzlich ist man nach drei weiteren Glühweinen so derart weihnachtsverzaubert, daß man beginnt, Bachs gesamtes Weihnachtsoratorium mit allen Rezitativen aus vollem Hals zu schmettern - jauchzet frohlocket - und so wird beschlossen, zum Weihnachtsmarkthopping aufzubrechen.

Voller guter Laune geht es daher nun zum Markt am Potsdamer Platz. Dort stehen junge 12jährige geschminkte Mädchen (die täglich aufgestylt im Ramsch-Laden „Allerlei" am Ku-damm herumlungern) und zuckerfestfeiernde Jungen an einer großen beleuchteten und mit Bravo-Hits beschallten La-Boum-Rodelbahn. Gar keine Frage: Da muss man mitmachen, und so steigt man mit einem schwarzen Gummireifen die glitschige Stiege hinauf, um dann kreisend die vereiste Bahn hinunterzurutschen. Jucheissassaaa, das geht ganz schön flux. Man dreht sich schwindelerregend und plötzlich - Boing! - fliegt man von dem Reifen, schlägt mit dem Kopf auf einer Eisplatte auf, und sieht herrliche bunte Weihnachtssterne.

Als man zur Besinnung kommt, tropft das Blut aus einer Platzwunde am Kopf mitten auf die Jacke, aber das ist insofern egal, da ja schon alles voll mit Glühwein ist. Vollkommen benommen torkelt man nun an den Buden entlang: Wahnsinn, was man alles kaufen kann: Totenkopfringe, afrikanische Holzkunst, leuchtende Feuerzeuge und radioaktiv verseuchte Maronen. An einer kleinen Schlemmerbude kauft man sich für das durchschnittliche halbe Monatsgehalt eines normalen Angestellten des öffentlichen Dienstes (abzüglich Riesterrenten-Männertarif bis Ende 2005!) ein riesiges Lebkuchenherz, bindet sich dieses um den Hals, bietet den entgegenkommenden Passanten an, einmal davon zu naschen und gelangt dann zu einer Eisbahn vorm „Adagio". Da die Wunde am Kopf noch heftig pulsiert, verzichtet man lieber auf die Rutschpartie Vol. 2 und beobachtet stattdessen lieber die mit Bussen angekarrte Kegelgruppe aus Westdeutschland, die Glühwein trinkend unter Heizpilzen steht und gesanglich die Hauptstadt preist. Man selber gesellt sich dazu und hat die großartige Idee, eine Polonaise anzuzetteln. Und so greift man mit ganz großen Schritten der Heidi an die Schultern und schlängelt sich johlend mit der gesamten Kegelgruppe aus Bad Wildungen um die Stände, über den Marlene-Dietrich-Platz und einmal durch das Sony Center bis in die Lobby des Ritz-Carlton. Neben dem „Curtain-Club" steht ein riesiges Lebkuchenhaus, das man mit der Reisegruppe kollektiv verspeist, und irgendwie fühlt man sich wie im Märchen „Hänsel und Gretel", bestellt „Negroni für alle!", wird an den Hintern gegriffen und ist bester Laune - denn noch weiß man nicht, dass diese flinke Hand einem eben das Portemonnaie aus der Gesäßtasche entwendet hat…

Nachdem man mit den Kegelfreunden das um den Hals gehängte Lebkuchenherz bei Feuerzangenbowle gemeinsam unter lauten „Berlinale"-Rufen zur Hälfte verspeist und mit allen Telefonnummern ausgetauscht hat („Ja, klar! Ich besuche Euch auf jeden Fall in Bad Wildungen! Versprochen, Wenn ihr wieder in Berlin seid, könnt ihr alle ganz sicher bei mir wohnen! Ehrenwort!"), geht es zum Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt.

Als man den 1 EURO Eintritt bezahlen möchte, bemerkt man den schmerzlichen Verlust des Portemonnaies - alles weg: Bargeld, alle wichtigen EC- und Kreditkarten (auf denen man dummerweise hinten die Pin-Nummern notiert hat), eine Onlinebanking-Tan-Liste sowie der Sozialversicherungsausweis. Den EURO für den Eintritt bekommt man aber dennoch unerwartet schnell zusammen, denn in dem blutverschmierten-glühweinbesudelten Outfit, der verkrusteten Platzwunde am Kopf und dem angeknabberten Lebkuchenherz um den Hals, macht man einen so armseligen und bedürftigen Eindruck, dass man - bevor man überhaupt angefangen hat, ein Gedicht aufzusagen oder zu singen - innerhalb von wenigen Minuten mehrere Euros in den leeren Glühweinbecher geworfen bekommt.

Und so geht es dann auf den kleinen putzigen Markt. Hier beobachtet man, wie ein Baumkuchen gebacken wird, wie Schwibbögen aus dem Erzgebäude per Hand hergestellt werden und lauscht einer zünftigen Kapelle. Plötzlich muss man ganz dringend die sanitären Einrichtungen aufsuchen - aber ganz schnell! In dem einzigen aufgestellten Dixie-Klo macht man einer gewissen Laura schnell ein Kind, raucht danach eine „R1-Zigarette" (mit 1mg Teer, 0,1 mg Nikotin und 1 mg Kohlenmonoxid), trinkt dazu einen Jagertee mit doppeltem Schuss und isst eine riesige Zuckerwatte. Dabei beobachtet man einige Kinder, die einem interaktiven Märchen-Theaterstück auf einer kleinen Bühne lauschen. Die als Hexe verkleidete Sozialpädagogin fragt die Kinder in die Runde: „Meine Kleinen, was wünscht ihr Euch denn so zu Weihnachten?" Die Jungen und Mädchen zirpen unisono mit ihren glockenzarten Stimmchen: „Wir sind die Kinder aus Bullerbü und wünschen uns den Weltfrieden, dass es allen Kindern gut gehen mag, Holzspielzeug und einen bunten Weihnachtsteller mit Trockenobst, Nüssen und Korinthen!" Ein kleines Mädchen in der Runde verdreht dabei aber kokett die Augen und findet das wohl nicht so spannend. Und so fragt die pädagogische Hexe: „Und mein Spätzchen, was wünschst Du Dir?" Das Mädchen spitzt die Schnute und sprudelt los: „Ich komme aus Grunewald, und daher wünsche ich mir ein echtes Pony, einen Pyjama von Victoria´s Secret, einen Cartier-Ring, einen Louis Vuitton Überseekoffer, ne Kreuzfahrt mit der Queen Mary 2 und einen Puppenkochkurs mit Jamie Oliver und Matt Skinner!"

Und weil man sich in diesem Moment vor Lachen kaum noch halten kann, übersieht man eine eisige Pfütze auf dem Boden, rutscht aus und stürzt kopfüber auf den Boden, fällt mit dem Gesicht auf die Zuckerwatte und verschüttet den roten Punsch erneut über die Jacke. Die Kinder jauchzen und freuen sich, denn sie denken, man gehört zu dem Theaterstück und halten einen mit der blut- und glühweingefleckten rot-weißen Jacke und dem Zuckerwattenbart im Gesicht für den Weihnachtsmann. Und so kommen sie auf einen zugestürmt, klettern einem auf den Rücken und wollen Huckepack über den Markt getragen werden. Das kleine Mädchen aus Grunewald kommt mit all ihren Privat-Kindergarten-FreundInnen ebenfalls angerannt und schreit schrill hysterisch: „Gib uns unsere Geschenke! Ich will mein Pony von Dir haben! Sofort!" Aber da man kein Pony, keine Luxusartikel geschweige denn Trockenobst oder Nüsse in der Hosentasche hat, flippt die ganze Kindergruppe unvorstellbar aus und beschmeißt einen mit gebrannten Mandeln, Maronen und Lebkuchen. Aus einem Augenwinkel kann man noch sehen, wie mehrere Kinder Pflastersteine von der Baustelle am Gendarmenmarkt holen, aber in diesem Moment ist man schon „Hilfe!" schreiend auf dem Weg zum Ausgang…

.. frohe besinnliche Weihnachten und einen gesunden Rutsch ins neue Jahr (in New York, St. Moritz, auf Sylt oder im Kaisersaal...)

Prinz Pikkolo, Dezember 2005

Mixtape 2005

Jeder hat einen iPod mit mindestens 20 GB Speicherkapazität, eine i-tunes-Bibliothek mit 4000 Titeln und eine DSL Standleitung mit Zugang zu Millionen von mp3s - aber irgendwie ist das doch alles nicht vergleichbar mit einem guten alten einfachen Mixtape.

Für ein Mixtape brauchte man ehrliche Musik, denn die Songs auf einer liebevoll selbst zusammengestellten Kassette mussten passen, da brauchte man ein Händchen für. Das war anders als heute bei den sterilen digitalen Playlists auf dem Computer mit x-beliebigen Titeln. Da gab es noch kein „Cut and Paste" und kein schnelles USB-Kabel-Gesauge, bei einem Tape mußte alles fein säuberlich geplant und abgestimmt werden. Ein Mixtape war für die Ewigkeit bestimmt, das konnte man nicht so einfach verändern, rückgängig machen oder gar löschen.

Für das Zusammenstellen eines Mixtapes brauchte man Zeit und Muse, das, was heute keiner mehr zu haben scheint. Was waren das für Zeiten, als man die ganzen MCs, CDs und Vinyl Platten auf dem Fußboden verteilt hat, um dann auditiv und gedankenverloren in diesem Berg gepresster Musik zu versinken, die Zeit zu vergessen und das Band mit feinen Fingertipps auf den FF und REV Tasten zurechtzuspulen.

Wie oft hat man sich damals Mixtapes mit den besten Soundtracks des jeweiligen Lebensabschnitts zusammengestellt. Mixtapes als akustisches Tagebuch für den ersten Urlaub ohne Eltern, für die Klassenfahrt, für die unbeschwerten Wochenenden mit Freunden, für das schraddelige Kasettenradio im ersten Auto - nicht zu vergessen die Mixtapes mit den gemeinsamen Liebessongs für die Freundinnen, und natürlich mindestens genauso viele für den anschließenden Liebeskummer.

Das Zusammenstellen von 90 Minuten Musik hat eine Ewigkeit gedauert, aber jede Sekunde war es wert. Irgendwann in der Nacht waren dann die A und B Seite gefüllt, und stolz wie ein Kind mit Schultüte bei der Einschulung konnte man das Tape in Händen halten, in das Kassettendeck legen und die Lautstärke aufdrehen, so daß auch die Nachbarn diese großartige Songkomposition hören mußten. Was war das für ein Gefühl, sich dieses selbst kreierte Band mit nach innen verdrehten Augen und wippendem Kopf ohne Unterbrechung anzuhören. Der Kopf schwirrte von all den Songs - und alles war gut!

Ein Mixtape hat irgendwie glücklich gemacht, und vielleicht sollte man gerade deshalb an einem der nächsten verregneten kalten Herbsttage einfach mal wieder die alten staubigen Kassetten rauskramen, einzelne Tracks anspielen und dann vollkommen in der Erinnerung an die alte Zeit versinken. Bei diesem Ritual wird ganz sicher ein leichtes warmes Kribbeln den Körper fluten, ein Spannungsgefühl, so wie damals am letzten Schultag vor den langen Sommerferien ……..<<………||…..…<<…..….||…..…<<….…..[STOP] …… >

Prinz Pikkolo, November 2005

Kleine Hunde a'la Paris Hilton

Derzeit kann man unzählige aufgedröselte junge Paris-Hilton-Verschnitte sehen, die kleine Chihuahuas an einer Leine herumführen. Was, wenn diese putzigen lebenden Accessoires nicht mehr „in" sind? Werden die dann die Toilette heruntergespült?

Kleine Mädchen, die so sein wollen wie Paris Hilton, bevölkern ja nun schon ziemlich lange die Boulevards, Cafés und Clubs aller Großstädte! Professionell geschminkt, mani- und pedikürt, sitzen sie tagsüber in irgendwelchen Cafés, meist gelangweilt in Grüppchen, an ihren Fingernägeln fummelnd, stundenlang an einer Latte Macchiato mit fettarmer Milch schlürfend. Ab und zu stehen mal zwei von ihnen auf, um sich gemeinsam auf der Toilette die Lippen nachzuziehen oder sonst was zu machen. Dann setzen sie sich wieder und warten, bis der Nachmittag zu Ende geht, und sie sich endlich für die Disko zurechtmachen können. An Schulaufgaben denkt keine von ihnen, nur an die süssen Barkeeper, DJ's und Fotografen, die dann wirklich ästhetische Fotos machen wollen! So weit so gut, alles ganz normal.

Neuerdings aber sitzen unter ihren Cafétischen kleine Hunde. Und an diesen Anblick muß man sich dann doch schon etwas gewöhnen: Kleine nackte Dinger, mit durchsichtiger Haut, die Chihuahuas heißen, und offiziell zur Gattung der „besten Freunde des Menschen" gehören, aber eher aussehen wie eine Kreuzung aus Perserkatze und Wasserratte. Paris Hilton hat so ein Teil, namens „Tinkerbell", jetzt haben daher auch alle kleinen Großstadt-Luxusmädchen welche. So wie damals die Tamagotchis, nur halt diesmal lebend. Hatte das Tamagotchi damals lediglich vier Funktionen (1. Spielen, 2. Füttern, 3. Lernen, 4. Saubermachen), kommt mit einem Chihuahua noch eine ganz tolle neue Funktion hinzu: Die Möglichkeit des Accessoire-Kaufs. O.K., das konnte man beim Tuning der Pokémons auch machen, aber für einen Chihuahua, der ja an und für sich schon ein lebendes Accessoire ist, kann man echtes, ganz besonders tolles Zubehör kaufen oder sich zum Geburtstag schenken lassen: Hundetragetaschen von LV, Halsbänder von Gucci, Leinen von Hermès, Körbchen und Socken von Burberry. Das sieht doch so niedlich aus. Wie süß! Ein Hund mit Chanel-Sonnenbrille, maßgeschneidertem Panamahut und echten Budapesterschuhen! Drollig! Bei so vielen Accessoire-Möglichkeiten kann man die ursprünglichen Tamagotchi-Funktionen 1. bis 4. auch schon mal ruhig vergessen.

Die größte Frage ist jedoch, was mit all den armseligen Tierchen passiert, wenn der Tinkerbell-Paris-Hilton-IN-Faktor abnimmt? Werden die dann ausgesetzt, an Zoos oder Terrariumbesitzer als Lebendfutter verkauft - oder gar die Toiletten heruntergespült?

Man kann die nahende Katastrophe schon förmlich erahnen: in der Kanalisation der sozialstarken Bezirke herumtreibende Chihuahuas. Vielleicht paaren sich die kleinen Hunde dann in der verwinkelten feucht dunklen Kanalisation wirklich mal mit Kanalratten, und es entstehen durch all die Abwasserchemikalien neue mutierte Hunderattenrassen, die in 30 Jahren dann zahlreich vermehrt wieder an die Erdoberfläche kommen, um seuchenartig Rache an den dann mittlerweile 50jährigen ehemaligen Frauchen zu nehmen? Vielleicht.

Ach, aber was soll man sich darüber eigentlich aufregen und spekulieren? Nach dem Film „101 Dalmatiner" wollten auch alle einen weißen Hund mit schwarzen Punkten haben und nach „Free Willy" am liebsten einen Killerwal. Da macht Paris Hiltons Chihuahua-Manie doch auch nichts mehr aus. Abgesehen davon müssen wir ihr ja eigentlich alle ohnehin dankbar sein. Sie ist zwar verantwortlich für all die vielen kleine Hunde in der Kanalisation, aber für die Menschen hat sie wirklich viel getan. Vor allem in Sachen jugendliche sexuelle Emanzipation: Seit der Veröffentlichung ihres grünstichigen Homevideos ist es gesellschaftlich toleriert, ja, sogar schon sozial zwingend erwünscht, Pornofilme zu konsumieren und sogar zu drehen!

Ein Junge braucht dank Paris Hilton in der Disko ein Mädchen einfach nur noch unverkrampft zu fragen: „Ähm, schulljung, hast Du Lust, vielleicht mit mir nach Hause zu kommen und nen schönen Porno zu drehen?"
Und bevor er den Satz ausgesprochen hat, wird sie begeistert rufen: „Au ja, fein! Das hat Paris auch gemacht! Aber kann ich auch noch meine Freundin mitbringen?"
„O.K., aber nur, wenn Du Deinen Hund zu Hause lässt!"

Prinz Pikkolo, Oktober 2005

Die fliegende Klassengesellschaft

Sommerzeit ist Flugreisezeit. Grund genug, sich das ganze Spektakel mal genauer anzusehen: Auf dem Flughafen treffen sich Banker mit Trolleys, „all inclusive Urlaub"-Familien, schnauzbärtige Thailandtouristen, Frauenkegelgruppen Destination „Dom Rep" und filzhaarige Aussteiger auf dem Weg nach Indien, um dort meditierend sekretausstoßende Kröten abzulecken. Was für ein sozialer Schmelztiegel! Aber nur oberflächlich, denn sobald es darum geht, den Flug unmittelbar anzutreten, werden die Reisenden systematisch selektiert und in soziale Kategorien filtriert.

Als Reisender der Economy-Class muß man sich beispielsweise zu unmenschlichen Zeiten am Flughafen einfinden, um aus reiner Schikane zwei Stunden vorher einzuchecken. Mit schwitzenden Leidensgenossen wartet man ewig in langen Schlangen, um dann zu erfahren, daß der Flug gestrichen wurde oder vielleicht sogar der Fluganbieter vor ein paar Minuten insolvent gegangen ist.

Falls alles doch ausnahmsweise „scheduled" abläuft, geht's dann zur Leibeskontrolle. Dort muß man sich bis auf die Unterhose ausziehen, die Inhalte aller Taschen in Plastikkörbchen füllen, und dennoch piept der Detektor. Es kommen solariumgebräunte Security-Ich-AGs, die einen nun unsittlich begrabbeln, und zur allgemeinen Belustigung vor den anderen Reisenden lautstark fragen, ob und wo man denn welchen Intimschmuck trage.

Anschließend geht's zur Passkontrolle, wo alle Al-Qaida-Terroristen ohne Probleme durchgewunken werden, nur man selbst wird minutenlang von oben bis unten gemustert, als seien BND, CIA und KGB hinter einem her, weil man damals bei „Napster" mal zwei Songs downgeloadet hat. Ein Mitreisender antwortet auf die Frage, ob er etwas zu verzollen habe mit einen Grinsen: „Bis auf 10 Kilo Kokain, Steinbrocken aus Ephesos und gefälschte Gucci-Taschen nix!" Das finden die Grenzschützer nicht komisch, weshalb der Spaßvogel sämtliche Sachen auspacken muß und sich alles noch mal verzögert. Währenddessen lernt man die Informationstafel mit dem Hinweis auswendig, daß man aufgrund der Maul- und Klauenseuche keine Fleisch- und Käsewaren exportieren dürfe. Na dann war es ja doch noch mal gut, daß man die gefrorenen Eisbeine und den vergammelten Schafskäse zu Hause gelassen hat…

Irgendwann geht man dann über die Gangway ins Flugzeug und setzt sich in einer der letzten Reihen auf einen minimalistischen Sitz mit dem Buchstaben B. Auf A und C haben schon zwei mächtige Menschen Platz genommen, und so quetscht man sich dazwischen und fragt sich, ob solche Platzgrößen vom TÜV heutzutage überhaupt noch abgenommen werden. Würde man Tiere so transportieren, hätten Tierschutzorganisationen schon längst sämtliche Flughäfen gestürmt.

Dann geht es los: Der alkoholisierte Pilot murmelt unverständlich ins knirschende Mikro, und die Stewardessen machen ihre Synchron-Sicherheitsvorkehrungsperformance, welche die Pauschaltouristen mit Strohhüten an den Clubtanz des letzten Sommers erinnert. Alle starren auf die wippenden Brüste einer Stewardess, und keiner der männlichen Reisenden dieser Klasse würde daher bei einem Druckabfall wissen, was man mit diesem komischen gelben Trichter an der Schnur machen soll, der dann von oben aus der Kabinendecke fallen sollte. Kommt da vielleicht dann Sangria raus? Stattdessen wird das Bordmagazin studiert, denn schließlich muß die maximale zollfreie Menge von Genussmitteln pro Kopf optimiert werden. Der tätowierte Alkoholiker in der vorigen Reihe fährt seine 8jährige Tochter an, sie solle für ihn nachher gefälligst auch ne Pulle Schnaps und ne Stange Zigaretten bestellen - sonst setzt es was!

Irgendwann hebt das Flugzeug ab, und genau in diesem Moment klingelt bei einem Passagier das Handy, der dann auch seelenruhig rangeht und lautstark mit einem Skatbruder zwei Sitzreihen vor ihm telefoniert. Aber das ist nun auch schon egal, denn das Flugzeug ist in ordentliche Wetterturbulenzen geraten und hüpft wie in einer Achterbahn von einem Luftloch ins nächste. Die dicke Sitznachbarin muß sich übergeben, während auf dem winzigen Bildschirm an der Decke uralte „Mr. Bean"-Folgen laufen und ein Hawaiihemdtourist einer Stewardess auf den Hintern haut. Kinder heulen und klettern über die Sitzlehnen bis irgendwann die Flugbegleiterinnen mit ihren Wägelchen kommen und jedem ein labberiges Sandwich bringen. Dazu bestellt jeder Passagier ein Glas Tomatensaft. Als man das dickflüssige Zeug herunterschlürft, fragt man sich, warum eigentlich bei Flugreisen wirklich JEDER Tomatensaft bestellt. Es trinkt doch sonst nirgendwo auf der Welt ein Mensch Tomatensaft! Da muß doch ein Tomatensaftfabrikanten-Fluggesellschafts-Kartell dahinter stecken. Hoppala, just in diesem Moment hat der Vordermann seine Sitzlehne mit einem Ruck zurückgeklappt, so daß einem der daran befestigte Plastiktisch in den Magen rammt, man keine Luft mehr bekommt und der Tomatensaft übers Hemd glitscht. Den Schmerz am Knie spürt man kaum mehr, denn seit einiger Zeit hat man eine lebensgefährliche Thrombose, weshalb man plötzlich in eine tiefe Ohnmacht fällt, von der man nur kurz erwacht, als alle Gäste der Economy-Class bei der Landung lautstark klatschen. Als man sich jedoch vorstellt, was gleich an dem Kofferförderband alles passieren wird (darauf im Kreis fahrende alkoholisierte Jugendgruppen, Gepäckvertauschungen, etc.), wird einem wieder ganz schwarz vor Augen, und man hört sich selbst nur noch dumpf nach dem ADAC-Krankenrücktransport rufen…

Die Reise als Passagier der Business- oder gar First-Class sieht dagegen ganz anders aus: Man spaziert einfach ein paar Minuten vorm Take-off zum VIP-Counter, checkt relaxet ein, um dann über einen roten Teppich zum Flugzeug zu schlendern. Hat man noch etwas Zeit, kann man vorher aber natürlich noch im „Red Carpet Club" oder in der „Senator Lounge" vorbeischauen, ein paar Drinks mixen, warme Snacks schnabulieren, warm duschen und alle Tageszeitungen einstecken.

Im Flugzeug fläzt man sich dann in die großzügigen fluffigen Ledersessel, rubbelt sich mit warmen feuchten Frottéhandtüchern das Gesicht ab und bittet anschließend darum, daß der Vorhang hinter einem zugezogen wird, damit man den Mob in den hinteren Reihen nicht sehen, hören und vor allem riechen muß!

Prinzipiell steigt die Qualität der Stewardessen von der letzten bis zur ersten Reihe eines Flugzeugs exponentiell. Während die Stewardessen der Economy-Class in grauen Polyesterhosenanzügen durch den Gang schleichen, schweben die Flugbegleiterinnen der Business-Class elfengleich in Miniröcken oder Hotpants herum, und in der ersten Klasse sind manche sogar ganz nackt - ehrlich wahr!

Irgendwann wird gespeist: Als Amusegeule gibt´s Kaviar und Champagner, anschließend wird ein von einem ***-Koch komponiertes Menue mit begleitenden Grand Cru Weinen kredenzt. Danach schaut man unveröffentlichte Blockbuster auf dem großzügigen 16:9-Bildschirm an und macht anschließend bis zur Landung ein genüssliches Schläfchen. Die Stewardessen bringen weiche Daunendecken, als Betthupferl belgisches Konfekt, und zum Schluß gibt es von ihnen ein zärtliches „Gute Nacht-Küsschen" - in der ersten Klasse manchmal sogar noch etwas mehr...

Laaaaaaaaaaaaaaaaaaangweilig. Da ist es im hinteren Teil des Flugzeugs doch schon wesentlich unterhaltsamer! Es lebe die Economy-Class! Sie lebe hoch! Drei mal hoch! HOCH, HOCH, HOCH!


Prinz Pikkolo, Juli 2005

Taxi!

Die Party ist vorbei, und mit vom Wodka-Redbull verklebten Synapsen torkelt man aus dem Club zum geparkten Auto. Klar, kann man noch nach Hause fahren. Locker, gar kein Problem, alles unter Kontrolle! Aber spätestens als man mit seinem iPod irgendein fremdes Auto vergeblich aufzuschließen versucht, ist es klar: Ein TAXI muß her - wie immer!

Also schlurft man zu der vorm Club stehenden Taxischlange und steigt in eines der gelb-beige-farbenen Fahrzeuge. Man setzt sich gemütlich auf den Beifahrersitz mitten auf die dort liegende Lesebrille und Zeitung des Fahrers, während man lallt: „Hoppalla, tschulljung. Äh, Meister, machen Sie auch `ne Festpreisfahrt?" Mit ziemlicher Sicherheit wird der Fahrer das verneinen, einen pikiert angucken und auf die Ehrlichkeit der Taxizunft pochen. Aber falls sich doch einer der Fahrer auf das unmoralische Angebot einlässt, sollte man sich den pädagogischen Spaß nicht entgehen lassen, kurz darauf irgendeinen Video- oder Bibliotheksausweis aus dem Portemonnaie zu holen, vorzuzeigen und möglichst ernst zu entgegnen: „Erwischt mein Herr! Kriminaloberinspektor XY mein Name, zeigen Sie mir mal bitte ihre Lizenz!"

Hat sich der Fahrer von diesem Späßchen erholt, kann's losgehen. Er stellt das Taxameter ein und erkundigt sich, wohin es denn nun gehen solle. Ja, wohin denn eigentlich? Wenn man das nach den vielen Drinks bloß noch wüsste. Aber diesem alkoholbedingten Fauxpas hat man glücklicherweise vorgebeugt, indem man folgenden Tipp beherzigt hat: Für den Fall, daß man nicht mehr weiß, wo man eigentlich wohnt, erweist sich nämlich die Diktiergerätfunktion des Handys als äußerst sinnvoll. Man kann in nüchternem Zustand seinen Namen und die Adresse aufsprechen und diese dann in einem solchen Notfall abspielen - vorausgesetzt, man schafft es noch, einen Knopf zu drücken…

Ist der Zielort geklärt, geht es quer durch die nachtgetränkte Stadt. Die verschwommenen Großstadtlichter ziehen an einem vorbei, das Autoradio dudelt leise im Hintergrund, und ein romantisierter Hauch von „Taxi Driver" mit Robert De Niro liegt in der Luft. Was Taxifahrer wohl so alles erleben? Welche Storys sich in den einzelnen Wagen schon abgespielt haben? Ein Taxi ist wie eine kleine Theaterbühne, auf der 24 Stunden lang alle erdenklichen Stücke aufgeführt werden. Und man selbst ist einer der Akteure.

Genau! Und daher wird es auch dringend Zeit für eine neue kleine Performance: Es bietet sich z.B. der Klassiker „Übelkeit" an, bei dem man so tut, als ob einen jede Sekunde eine höllische Brechattacke überfallen wird, während man lautstark klagt: „Oh ist mir schlecht. Ich glaube, ich muß mich übergeben!" Die Blicke der Taxifahrer sind in diesem Moment erfahrungsgemäß gold wert: Eine bildbandreife mimische Symbiose aus Panik, Ekel und Wut, die sich dann aber bei Auflösung des inszenierten Spaßes zumeist in dankbare Erleichterung zerlegt. Nur ganz selten landet man mit einem Tritt auf der Straße.

Ja, die Taxifahrer haben es schon schwer mit all den nächtlichen alkoholisierten Partyspaßvögeln als Kunden. Aber die meisten Fahrer sind einfach `ne Wucht! Sie hören sich all den Fahrgast-Unsinn an und geben trotzdem freundlich Ratschläge aus ihren reichhaltigen Erfahrungsschätzen. Taxifahrer sind die Therapeuten der Nacht. Man kann über die gute alte Zeit (z.B. als die Mauer noch stand) philosophieren, die „Hartz IV"-Problematik erörtern, sich diverse Etablissements empfehlen oder die Relativitätstheorie erklären lassen - je nachdem, ob man einen Physikstudenten im 25. Semester, einen türkischen Taxiunternehmer oder eine Ich-AG als Fahrer hat. Und falls man nicht alleine nach Hause fährt, kann man auch ungeniert mit einem One-Night-Stand auf der Rückbank fummeln und sich dabei durch den Rückspiegel beobachten lassen - geil!

Eine Taxifahrt ist die private Aftershow zur Partynacht und definitiv eine Dienstleistung, die ihr Geld wirklich wert ist. Apropos Geld: Da das Portemonnaie am Ende der Nacht natürlich vollkommen leer ist, bittet man den Fahrer nun, freundlicherweise mal kurz an einer Bank vorbeizufahren. Dort verschwindet man dann, um Geld abzuheben, und draußen wartet das Taxi mit metronomisch tickendem Taxameter. Logischerweise hat man seinen Pin vergessen, und während der Fahrer draußen darüber nachdenkt, ob man denn je wieder zurückkommt oder er die Fahrt außerplanmäßig abschreiben muß, wird die EC-Karte vom Automaten eingezogen, weil man die Geheimzahl drei Mal falsch eingegeben hat. Glücklicherweise besitzt man noch ein paar andere Karten, mit denen man es auch noch probieren kann. Bei der letzten klappt es dann endlich und man ist wieder liquide. Das nächste Mal wird man auch alle Pins auf das Handy diktieren. Sicher ist sicher!

Irgendwann vor der Haustür angelangt, darf man nicht vergessen, nach einer Quittung zu fragen, jedoch mit der Bitte, Ort und Datum freizulassen, damit man das dann später für die Steuer noch schön nachtragen kann. Man bedankt sich recht herzlich für diese angenehme und entspannte Fahrt, für die sich der Taxifahrer natürlich ein richtig dickes Trinkgeld verdient hat - und so rundet man den Betrag großzügig auf, weil es die Sache wert war. Gute Fahrt!

Prinz Pikkolo, April 2005

24 Stunden Klingelton-Terror-Spots !
Seit einiger Zeit hat der Terror in Deutschlands Wohn- und Kinderzimmern eine neue Dimension erreicht. Nicht genug damit, daß unzählige Fernsehsendungen wie „The Swan", „Frauentausch" oder „I bet you will", zu einer irreparablen Volksverdummung und Werteverschiebung beitragen, nein das abgrundtief unmenschlichste und niederträchtigste TV-Format seit Jahrzehnten läuft ganz subtil unter dem Deckmantel einer ganz selbstverständlichen und harmlosen Konsumenteninformation ab: Die Rede ist von den als Endlosschleifen konzipierten Werbspots für jede erdenkliche Art von Klingeltönen. Wenn man irgendwann einmal in diesen Tagen stichprobenmäßig beim Zappen bei VIVA und MTV vorbeischaut, so fällt unweigerlich auf, daß sich diese Sender scheinbar vollkommen von ihren eigentlichen Kernkompetenzen (gestylte Tussi sagt alle paar Minuten grinsend Videoclip an) verabschiedet haben. Von 24 Sendestunden laufen täglich umrahmt von einer Handvoll Videoclips ca. 23 Stunden lang lieblos gestaltete Arschbackengrafiken, zu denen eine überdrehte Männerstimme schreit: „Schicke eine SMS mit FUN 4 an die Nummer schubidubidubidu, für polyphon sende POLY 8, für monophon blab blab bla, für Realtone, Nokia bla bla, Siemens. Diese Woche auf Platz 1 der Klingeltoncharts! Hol Dir Deinen Lieblingshit als Videoklingelton im Monatsabosparpaket oder das super Handygame für nur 4 EURO pro Download!"

Man stelle sich einmal den Arbeitsalltag eines Klingeltonprogrammieres vor: Zugedröhnt von allen Drogen der Welt sitzt dieser mit einem Synthesizer in einem sterilen Büro, hackt im rosaroten Rausch sinnlose Tonkombinationen in den Rechner und schreit dazu wie von allen guten Geistern verlassen in ein Mikrofon. Ja so muß es sein, denn nur so sind beliebte Klingeltöne wie „Der verrückte grüne Frosch - brrrrm, brrrm, brmmmmmmm!" oder „Geh an Dein Handy ran, es ist ne Pussy dran, geh doch an Dein Handy ran, es ist ne Pussy dran …" im Ansatz erklärbar.

Hier agiert eine Klingeltonmafia mit miesesten verdeckten psychologischen Tricks, um den Schulkindern dieses Landes ihren letzten Cent aus der Tasche zu ziehen, und mit Handyrechnungen von mehreren hundert Euro systematisch in eine endgültige Schuldenfalle zu manövrieren.

Die Konsequenzen von Klingeltondownloads für Deutschland und auch die Weltwirtschaft sind noch nicht abzusehen, aber Sozialstudien werden in einigen Jahren mit Sicherheit nachweisen, daß Klingelton-Downloader mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an Depressionen leiden, das gesamte Hartz 4 Programm in Anspruch nehmen oder zumindest potentielle Kandidaten der 125. Staffel von "Big Brother - Jetzt gehts los".

Unter diesen Umständen sollte das Thema „Klingeltöne" eigentlich ein Fall für die Genfer Menschenrechtskonvention, die UNO, einen Ethikrat oder zumindest eine Enquetekommission sein.

Klingeltonwerbung ist die TV-Seuche dieses angehenden Jahrtausends. Dagegen ist sogar das Programm von dem Sender 9live ja noch richtiggehend pädagogisch anspruchsvoll. Da kann bei dem ein oder anderen Quiz wenigstens noch ein ganz klitzekleines Bisschen nachgedacht werden: „Rufen Sie an, Sie gewinnen ganz sicher den Jackpot mit 50.000 EURO. Vervollständigen Sie die Zahlenreihe: 1, 2, 3, 4, 5 … oder: Susis Mutter hat zwei Kinder: Dick und …." oder: Zählen Sie alle Dreiecke…"

Hach ja, wie verändern sich doch die Zeiten. Gegen die Klingeltonterrorspots haben sogar die 0190er Sexhotlinenummernclips ja eigentlich schon richtig künstlerischen Anspruch und Stil.
Und die schlimmste aller Fragen: "Was kommt wohl erst nach Sweety, dem Küken???"

Prinz Pikkolo, Januar 2005